Röthenbach i.E. – Schritt für Schritt durchs Emmental
Hügel um Hügel, Wiesen und Weiden: An einem sonnigen Morgen begleite ich Natascha und Timon ins Emmental, genauer nach Röthenbach. Von hier aus starten wir unsere Panoramawanderung durch die idyllische Landschaft bis nach Eggiwil an die Emme. Kommen Sie mit und erleben Sie einen entspannten Tag an der frischen Luft.
10.22 Uhr – Röthenbach, was bietest du uns?
«U i wet i hätti ds ganze Läbä vrbracht, mit däm Meitschi vo Röthebach.» Liedermacher Polo Hofer scheint ein Fan der Emmentaler Gemeinde gewesen zu sein. Oder jedenfalls der weiblichen Einwohnerinnen. So oder so, Natascha und Timon wollen es wissen, gemeinsam nehmen wir Röthenbach und die Region genauer unter die Lupe. Wir setzen uns in Signau in den Wanderbus und fahren bis zu der Haltestelle «Röthenbach im Emmental, Chuderhüsi». Dort angekommen, strecken wir uns kurz und spüren die noch etwas zögerlichen Sonnenstrahlen. «Gut, bringt uns der Bus direkt zum Chuderhüsi, so können wir unsere Kräfte für die Wanderung einteilen», schmunzelt Timon.
10.30 Uhr – hoch hinaus
Bevor es losgeht, halten wir kurz inne und geniessen die Aussicht: Vor uns erstreckt sich stolz und felsenfest die Berner Alpenkette mit Finsteraarhorn, Schreckhorn, Eiger, Mönch, Jungfrau und Blüemlisalp. Nach staunenden Ohs und Wows machen wir uns auf den Weg zum Aussichtsturm durch den schattigen Goucherenwald – die Sonnencreme bleibt vorerst im Rucksack. Nach 15 Minuten steht er vor uns: der Aussichtsturm Chuderhüsi, 1998 zum 850-Jahr-Jubiläum von Röthenbach errichtet. Mit seinen stolzen 42 Metern überragt der aus heimischem Weisstannenholz gefertigte Turm die umgebenden Tannen um einiges. Wir wollen an die Spitze, 195 Treppenstufen führen uns auf die Aussichtsplattform. Oben angekommen und etwas ausser Puste, hält Natascha fest: «Der Aufstieg ist nicht ohne, ist aber lohnenswert! » Wir lassen den Blick schweifen und werden belohnt mit einer atemberaubenden Rundsicht von den Berner Alpen bis zum Schwarzwald und ins Wallis. Gemäss Reglement ist das Abseilen vom Turm verboten, was uns nichts ausmacht, wir bevorzugen auch für den Rückweg die Treppe. Auch diese ist Abenteuer genug für unseren Geschmack, der filigrane Turm gerät hier oben bereits etwas ins Wanken.
11.30 Uhr – so weit das Auge reicht
Wieder festen Boden unter den Füssen, geht es zurück zum Ausgangspunkt. Erst jetzt entdecken wir am rechten Wegrand die hölzernen Gestalten, die sich aus alten Baumstrünken erheben. Die Holzschnitzereien sind kunstvolle Werke von fünf Bildhauern, die je einen Lärchenstamm zum Thema «Begegnungen» bearbeiten durften. Das Resultat lässt sich sehen, die Skulpturen passen in die Umgebung und lassen Wandervögel kurz innehalten. Zurück beim Ausgangspunkt, folgt der Abstieg. Wer einen stärkenden Kaffee braucht, kann im Restaurant Chuderhüsi einkehren und auf der Terrasse die Aussicht wirken lassen. Natascha und Timon sind wach genug, wir machen uns also auf die Socken Richtung Würzbrunnen. Auch hier werden wir mit einem grossartigen Weitblick belohnt: Vor uns erheben sich Schrattenflue, Schibengütsch, Hohgant und Sigriswiler Rothorn. Die Strecke führt uns durch den Wald und über Felder, bis wir schliesslich bei der Kirche von Würzbrunnen ankommen.
12.15 Uhr – Gotthelf und die Kirche
Die ehemalige Wallfahrtskirche ist eine betagte Dame, fast 1000 Jahre alt sind ihre Grundmauern. Nachdem der ursprüngliche Holzbau 1494 einem Brand zum Opfer fiel, wurde die heutige Kirche im spätgotischen Stil errichtet. Ein verkohltes Stück Holz in einer Nische der nördlichen Aussenwand erinnert noch immer an die Vorgängerin. Nach einem Blitzeinschlag 1781 kam die Kirche abermals zu Schaden, der Kirchturm musste ersetzt werden. «Der Zimmermeister hat das neue Türmchen mit dem achteckigen Helm der damaligen Zeit entsprechend im Barockstil gebaut», erzählt uns Expertin Daniela Gerber, die regelmässig Führungen durch die Kirche anbietet. Bis vor zehn Jahren wurden die Glocken sogar manuell geläutet: die Sigristin hat tagtäglich um Punkt 11 Uhr am Seil der kleinen Glocke gezogen, am Wochenende brachten zwei Männer beide Exemplare zum Klingen. Heute zieren Bibelsprüche im Barockstil und eine Holzdecke das Innere, die Fresken beim Eingang erinnern an die Zeit vor der Reformation. Natascha gefällt die heilige Stätte: «Eine romantische Kirche, eingebettet in einer traumhaften Landschaft.» Vielleicht genau deshalb ist sie auch in diversen Verfilmungen von Gotthelfs Stücken zu sehen. So spielen sämtliche Kirchenszenen in «Ueli der Knecht», «Geld und Geist» oder «Die Käserei in der Vehfreude» an eben diesem Ort. Daniela Gerber ergänzt: «Die Kirche steht an einem Kraftort, die Atmosphäre hier ist einmalig. Wer hier ist, spürt den Frieden.»
12.45 Uhr – wunderbare Stille
Wir nehmen den Abschnitt nach Eggiwil in Angriff. Die Route erfolgt entlang dem Röthenbach. Bei der Abbiegung Richtung Farneren verlassen wir dessen Tal und wandern für kurze Zeit dem plätschernden Fambächlein entlang, bis wir den kurzen, aber intensiven Aufstieg nach Farnern unter die Füsse nehmen. Oben angelangt, werden wir mit einem eindrücklichen Rundumblick in die Schweizer Bergwelt belohnt. Es geht weiter, abwechselnd im schattigen Wald, über satte Weiden, auf Strassen mit Hartbelag und auf Naturpfaden. Die traditionellen Bauernhöfe, die wir kreuzen, lassen eine geballte Ladung Nostalgie ins Herz, die frische Luft weckt Geister und Gemüter. Unterwegs geniessen wir die Stille, die Aussicht über die Emmentaler Hügel sowie den leichten Wind, der die Mittagshitze erträglich macht. «Die Region lässt dich zur Ruhe kommen», sinniert Natascha während der gemütlichen Strecke. Hin und wieder suchen wir etwas Schatten unter einem Baum oder setzen uns auf eine Bank und lassen den Blick schweifen. Bis kurz vor Eggiwil müssen wir nur wenige Höhenmeter überwinden, erst jetzt folgt eine relativ steile Passage durch den Wald.
15.00 Uhr – Bräteln mit Aussicht
In Eggiwil angekommen, knurrt der Magen: Zeit für das späte, aber wohlverdiente Zmittag. Obwohl Eggiwil genügend Einkehrmöglichkeiten bietet, zieht es uns bei diesem Wetter ans Wasser. Die Emme, nicht weit vom Dorfkern entfernt, hält hier einige lauschige Plätzchen für Wasserratten und Hobbygrillierer bereit. Wir lassen uns nahe der Buchschachenbrücke an einem hübschen Kiessträndchen nieder und richten uns ein. Timon und Natascha suchen Holz für das Feuer, und dank den mitgebrachten Zeitungen züngeln schon bald die ersten Flammen gen Himmel. Jetzt packen wir die selbst gemachten Auberginenspiesse aus, träufeln etwas Bratbutter und Salz darüber, legen sie in die Grillschale aus Alufolie und schliesslich aufs Feuer. Dazu gesellen sich in Alufolie eingepackte Kartoffeln und zwei Maiskolben. Grillmeisterin Natascha hat alles im Griff, nach rund zehn Minuten sind die vegetarischen Spiesse mit Feta-Rosmarin-Füllung gut durch und die Maiskolben gold gebraten.
Satt und zufrieden legen wir uns kurz hin und ruhen aus. Bald schon verlangen die müden Füsse nach einer Abkühlung. Natascha ist mutig und steckt den grossen Zeh als Erste in die kalte Emme: «Frisch! Aber genau das Richtige nach dieser Wanderung» Langsam packen wir zusammen und machen uns auf den Weg zurück ins Eggiwiler Zentrum. Im Bus Richtung Signau lassen wir die Landschaft an uns vorbeiziehen und planen bereits den nächsten Ausflug ins Emmental.
Text: Laura Marti
Bilder: Rolf Siegenthaler