Meter für Meter durch den brüchigen Fels
Seit Anfang März saniert die BLS den Weissensteintunnel. Wo sonst Züge verkehren, fressen sich nun die rotierenden Fräsen einer Schrämmaschine den Tunnelwänden entlang. Der 3,7 Kilometer lange Tunnel verbindet das Solothurner Mittelland mit dem Berner Jura und bildet den Kern der Bahnstrecke zwischen Solothurn und Moutier. Die BLS nutzt die Sperre des Tunnels, um die Bahnstrecke insgesamt zu erneuern. Zum Beispiel den Geisslochviadukt, der im Sommer neue Stahlbrücken erhalten hat. Wir blicken aber auch zurück auf die Geschichte der Solothurn-Münster-Bahn, der kein einfacher Start beschert war.
Der ewige Patient
Die komplizierte Geologie hat der Bahnstrecke Solothurn–Moutier von Anfang an zugesetzt. 6,5 Kilometer vom Weissensteintunnel entfernt Richtung Solothurn überbrückt die Eisenbahn über den 200 Meter langen Geisslochviadukt einen Geländeeinschnitt. Der Untergrund ist weich hier. Die Brückenpfeiler des Viadukts stehen auf feinkörnigen Sedimenten mit Muschelschalen und verkohlten Pflanzenresten. Kurz nach seiner Errichtung im Jahr 1908, noch bevor die Bahnstrecke offiziell eingeweiht war, beschädigte ein Hangrutsch den Geisslochviadukt massiv. Fast 100 Jahre lang wurde er anschliessend beobachtet, weil der weiche Untergrund unter dem Druck des Bauwerks weiter zu rutschen drohte. Nun saniert die BLS den ewigen Patienten.
Der Geisslochviadukt liegt mitten im Wald. Damit überhaupt eine Baustelle errichtet werden konnte, rodete die BLS letzten November 6000 Quadratmeter. «Wir wollten möglichst wenig Wald roden, weil wir die Natur schützen wollen», sagt Daniel Trachsel, der bei der BLS für die Sanierung des Viadukts verantwortlich ist. «Deshalb sind die Platzverhältnisse auf der Baustelle sehr eng.» Als die ersten zwei vorfabrizierten Stahlelemente für die neue Brücke des Viadukts geliefert wurden, musste eines davon oben auf den Brückenpfeilern zwischengelagert werden, damit die Baustelle nicht verstopfte.
Viadukt in Kurvenlage
Kompliziert ist nicht nur die Logistik auf der Baustelle, sondern auch die Geometrie des Viadukts: Er liegt in einer Kurve und auf leicht ansteigender Strecke. Die neue Stahlbrücke und der Betontrog für den Bahnschotter wurden in Einzelteilen vorfabriziert und anschliessend auf der Baustelle zusammengesetzt. Elemente für eine Kurvenlage vorzufabrizieren, ist äusserst anspruchsvoll. Die Vorfabrikation war jedoch die einzige Möglichkeit, um den engen Zeitplan einzuhalten. In gerade einmal sieben Wochen mussten die alte Brücke abgebrochen, die neue Brücke montiert, der Schottertrog zusammengesetzt und die neuen Gleise verlegt werden. Am 21. Mai wurde die alte Brücke demontiert. Am 6. Juli überquerten die ersten Züge den neuen Viadukt.
In dieser Zeit haben 30 bis 50 Personen auf der Baustelle gearbeitet: Stahlbauer, Spezialisten für Hydraulik und für Betonarbeiten, Gerüstbauer, Kranführer – ein eingespieltes Team, wie Daniel Trachsel betont: «Es war das gleiche Team wie beim Saaneviadukt. Wenn du den Saaneviadukt erfolgreich saniert hast, ist das natürlich eine Referenz. Es gibt in der Schweiz etwa eine Handvoll Firmen, die diese Arbeiten erledigen können.»
Sieben Wochen intensive Bauphase im Zeitraffer
Eine historische Bahn lebt weiter
Die Bauarbeiten im Weissensteintunnel dauern bis im Dezember 2025. In dieser Zeit erneuert die BLS zusätzlich den Corcellesviadukt, ersetzt auf verschiedenen Abschnitten der Bahnstrecke die Fahrbahn und die Fahrleitungen und baut sieben Bahnhöfe und Haltestellen behindertengerecht um. Nach der Sanierung kann die altehrwürdige Solothurn-Münster-Bahn weitere 25 Jahre betrieben werden.
Eröffnet wurde die Bahnstrecke im Jahr 1908. Die Stadt Solothurn suchte bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Verkehrsverbindung mit seinen nördlich gelegenen Kantonsteilen. Die ersten Pläne für einen Strassentunnel für Fuhrwerke durch die Weissensteinkette und eine Pferdebahn von Solothurn nach Gänsbrunnen wurden schnell wieder aufgegeben. Um die Jahrhundertwende sprachen sich die Kantone Bern und Solothurn für den Bau einer Eisenbahnstrecke aus. Ein Rückblick in Bildern.
Von Matthias Abplanalp